Weshalb Fische wandern
Im Jahre 1854 fing man in Rheinfelden den letzten atlantischen Stör in der Schweiz. Über 150 Jahre später findet man diese Störart nur noch in der Garonne in Frankreich. Rund 100 Jahre später erleidet der Rheinlachs das gleiche Schicksal und wird in der Schweiz nicht mehr vorgefunden. Sowohl der Lachs als auch der Stör laichen in Süsswasserflüssen, wandern ins Salzwasser um dort den Grossteil ihres Lebens zu verbringen und kehren schliesslich zur Fortpflanzung wieder zurück in ihre Aufwuchsgewässer. Diese Fische erbringen eine ausserordentlich eindrückliche Leistung. Der Weg von der Nordsee bis in die Schweiz beträgt rund 1000 Kilometer. Der Lachs kann bis zu 100 Kilometer pro Tag zurücklegen – ohne Wanderhindernisse würde die Reise also idealerweise etwa zwei Wochen dauern.
Ein Blick auf ein Fischleben
Die meisten Fische brauchen mehr als ein Habitat um ihren Lebenszyklus vervollständigen zu können. Für die Veränderung seiner Lebensbedingungen kann der Fisch in ein anderes Habitat migrieren. In der Biologie unterscheidet man zwischen drei Arten von Migration:
• Gametische Migration:
Zwecks Fortpflanzung
• Alimentarische Migration:
Zur Futter- oder Wassersuche
• Klimatische Migration / Flucht:
Vermeidung von ungünstigen
(klimatischen) Bedingungen
Zitat (Baras et all 2001): «Während Dispersion und Migration, bezogen auf terrestrische Systeme, meistens als zwei verschiedene Arten von Populationsverteilung angesehen werden, resultiert die passive Verbreitung im Medium Wasser, strukturiert durch gerichtete Ströme, in einer uniformen, aber graduellen Richtungsbewegung der Mehrheit der Fischpopulation. Es ist deshalb eine offensichtliche Migration und wirkungsvolle Verbreitung in einem» – stark vereinfacht: Wanderungen im Wasser funktionieren nicht gleich wie auf dem Land. Trotzdem ist es erwiesen, dass jede Fischart in kleinerem oder grösserem Rahmen migriert. Man unterscheidet zwischen drei Migrationsarten:
• Ozeanodromie:
Migration innerhalb des Salzwassers
• Potamodromie:
Migration innerhalb des Süsswassers
• Diadromie Migration:
zwischen Salz- und Süsswasser
Die Diadromie kann in drei weitere Klassen unterteilt werden, die Anadromie (Lachs, Stör), die Katadromie (Aal) und die Amphidromie (einige Grundelarten).
Auslöser von Migrationen können externe Faktoren sein, wie die Verfügbarkeit von Beute, die Vermeidung eines Räubers oder Veränderungen in der Hydrologie, der Temperatur oder der Qualität des Wassers.
Zu den internen Faktoren werden ontogenetische Veränderungen, Hunger und «Homing» gezählt. Fische, die in einem habitatreichen Gewässer leben, legen ein weniger ausgeprägtes Migrationsverhalten an den Tag. Dies zeigt, weshalb die Gewässer gleichzeitig auch revitalisiert werden müssen.
Situation in der Schweiz
Ausgenommen vom Aal gibt es in der Schweiz nur diadrome und potamodrome Spezies. Die meisten diadromen Spezies (Flussneunauge (Lampetra fluviatilis), Atlantischer Lachs (Salmo salar), Atlantischer Stör (Acipenser sturio), Maifisch (Alosa sp.), Meerforelle (Salmo trutta trutta)) sind aber bereits auf Grund der Verbauung und Begradigung der Gewässer in der Schweiz ausgestorben. Die meisten Fische in schweizerischen Gewässern sind daher potamodrom und grösstenteils cyprinide (karpfenartig).
Rund 100 Jahre nach Aussterben des Lachses drohen nun weiteren strömungsliebenden, eher «anspruchsvolleren» Fischarten wie beispielsweise der Äsche das gleiche Schicksal wie den anadromen Fischarten. Die Zahlen sind seit Jahren rückläufig – mit ein Grund: die erschwerten Wanderverhältnisse: 970 Hindernisse von Wasserkraftanlagen müssen deshalb gemäss Bundesamt für Umwelt (BAFU) gesamtschweizerisch bezüglich Fischwanderung bis ins Jahr 2030 saniert werden. Zählt man die nicht-wasserkraftbedingten Hindernisse dazu, so trifft man als Fisch in Schweizer Fliessgewässer alle rund 700 Meter auf ein Wanderhindernis, welches höher als 50 Zentimeter ist.
Deshalb gibt es auch im Kanton Aargau noch einiges zu tun: Wie die kantonale Verwaltung online schreibt, verhindern rund 3000 Schwellen und Wehre die Fischwanderung in den Aargauer Gewässern. Erfreulicherweise zeigt die kantonale Verwaltung auch gleich selber auf wie es gehen kann im Projekt Aabach Horni: Zwischen Wildegg-Brugg und Niederlenz baute man dort 2018 ein altes, ungenutztes Wehr in eine rauhe Blockrampe um. Ein schönes Beispiel, welches zeigt, dass naturnahe Projekte auch in dichter besiedelten Gebieten möglich und sogar notwendig sind. ■
Thomas Ammann,
Geschäftsleiter WWF Aargau