Wie ökologisch sind Kleinwasserkraftwerke?
Warum sich der WWF trotz engagierter Unterstützung der Energiewende gegen den Bau von neuen Kleinwasserkraftwerken im Aargau wehrt.
Die Wasserkraft wird in der Schweiz seit 1879 zur Stromgewinnung genutzt. In den letzten 50 Jahren wurde die Stromproduktion aus Wasserkraft fast verdreifacht. Schweizweit wird das Wasser unserer Bäche und Flüsse bei über 1400 Fassungen abgeleitet und betreibt über eintausend Wasserkraftwerke. 55 – 60 Prozent des in der Schweiz erzeugten Stroms stammen aus der Wasserkraft.
Wasserkraft ist nicht a priori umweltfreundlich
Die Wasserkraft ist die Basis der erneuerbaren Stromversorgung der Schweiz. Die ökologischen Auswirkungen auf die Natur sind jedoch grösser als oft angenommen. Die Flussufer werden verbaut und der natürliche Lebensraum zerstört. Durch Staumauern und Wehre wird aus einem dynamischen Fluss eine Kette von Staustufen, also eine Art Aneinanderreihung von vielen Stauseen. Das sogenannte «Geschiebe» (grober Sand und Kies), welches Basis für wichtige Lebensräume bildet, bleibt oberhalb der Wehre hängen. Diese Lebensräume, zum Beispiel für die Fortpflanzung von Fischen, die ihre Eier im Kies ablegen, gehen verloren. Trotz Fischtreppen wird die Fischwanderung flussauf- und -abwärts stark behindert und auch andere Arten können das Hindernis nicht überwinden. Fischpopulationen werden isoliert und die genetische Vielfalt nimmt ab. Die Fische werden dadurch anfälliger auf Krankheiten, Parasiten oder sich verändernde Umweltbedingungen (z. B. Klimaerwärmung). Langdistanzwanderer wie der Lachs sind bereits ausgestorben.
Wasserkraftpotenzial bereits stark genutzt
95 % des Potenzials ist bereits genutzt. Das verbleibende Potenzial kann durch die Optimierung bestehender, grosser Kraftwerke und deren massvollem Ausbau umgesetzt werden. Auch Trinkwasserkraftwerke, mit denen das Wasser in den Leitungen turbiniert wird, tragen zur Stromgewinnung bei, ohne die Natur zu beeinträchtigen. Einige Gemeinden und Betriebe nutzen diese kostengünstige Stromproduktion bereits seit langem. Nicht zuletzt kann durch den Ersatz unproduktiver Klein- und Kleinstwasserkraftwerke durch ein effizienteres, unter Umständen sogar grösseres Kraftwerk die Stromproduktion gesteigert und gleichzeitig der ökologische Schaden reduziert werden.
Kraftwerke sind Wanderhindernisse
Alle Fische wandern stromauf- und stromabwärts. Kleinfischarten kürzere Strecken, grössere Fische bis weit über 100 Kilometer. Kraftwerke stehen jedoch nicht nur beim Schwimmen flussaufwärts im Weg. Geraten die Fische beim Abstieg in die Turbine, werden sie verletzt oder getötet. Zum Schutz der Fische braucht es deshalb eine Fischabstiegsanlage mit einer Schutzvorrichtung vor der Turbine und einen Abstiegskorridor. Je besser Fischtreppe und Fischabstiegsanlage gebaut sind und je mehr Wasser über den Abstiegskorridor und als Lockströmung über die Fischtreppe gelassen wird, desto geringer sind die negativen Auswirkungen auf die Fischwanderung. Aber selbst das beste Kraftwerk mit der besten Fischtreppe und Fischabstiegsanlage stellt im Vergleich zum natürlichen Fluss ein Hindernis dar. Die beste Vernetzung bleibt die Entfernung des Wanderhindernisses und die Wiederherstellung der natürlichen Fischgängigkeit.
Bei Kleinwasserkraftwerken ohne gute Fischwanderhilfen ist der Schaden des Kraftwerks auf die Fischwanderung zu gross. Mit Wanderhilfen reduziert sich zwar der Schaden, die Stromproduktion sinkt aber bei einem ohnehin tiefen Niveau noch weiter, so dass kein relevanter Beitrag für die Energiewende mehr übrigbleibt.
Zustand der Aargauer Gewässer
Das Aargauer Gewässernetz ist 2 900 Kilometer lang. Nur ein Viertel davon befindet sich noch in einem naturnahen Zustand. 3 600 künstliche Abstürze mit einer Höhe von mehr als einem halben Meter verhindern die Fischwanderung und zerstückeln das Gewässernetz. Um beispielsweise vom Rhein bei Kaiseraugst bis zur Suhre bei Reitnau zu schwimmen, müsste ein Fisch mehr als 30 künstliche Wanderhindernisse überwinden, wovon nur 10 mit Fischaufstiegshilfen ausgerüstet sind und somit zumindest eine Chance zur Überwindung bieten.
Die bestehenden 26 Flusskraftwerke und 24 Kleinwasserkraftwerke im Aargau decken rund 70 % des Aargauer Verbrauchs an elektrischer Energie. Alleine die drei grössten Kraftwerke liefern einen Drittel des Stroms. Die Beiträge der Kleinwasserkraft sind gering.
Wo will der Richtplan neue Kraftwerke?
Die wenigen noch frei fliessenden Flussabschnitte an Rhein und Reuss sind ökologisch zu wertvoll, um für die Wasserkraft geopfert zu werden. Ausbaupotenzial besteht deshalb hauptsächlich im Ausbau und der Optimierung bestehender Flusskraftwerke. Neue Kleinwasserkraftwerke sowie die Erneuerung bestehender Anlagen können gemäss Richtplan nur noch an der Suhre, am Aabach, der Wigger inklusive Tych, und am Rotkanal (oberhalb Rothrist) realisiert werden. Der Bau bzw. die Erneuerung der Kraftwerke ist aber nur zulässig, wenn die Vernetzung der Flussläufe verbessert wird.
Solarenergie und Effizienz sind ökologischer und wirtschaftlicher
Neuanlagen dürfen aus ökologischer Sicht nur dort realisiert werden, wo bereits eine erhebliche Belastung des Gewässers besteht und der Zustand durch eine Revitalisierung kaum verbessert werden kann. Das gibt es im Aargau kaum noch. Und wenn, dann ist das Strompotenzial – auch aufgrund des geringen Gefälles – so klein, dass kein relevanter Beitrag zur Produktion erneuerbaren Stroms geleistet werden kann. Anstatt den Neubau von Kleinwasserkraftwerken zu forcieren, wäre es ökologischer und wirtschaftlicher, das Geld für die Nutzung der Solarkraft und an geeigneten Standorten der Windenergie sowie für die Umsetzung von Effizienzmassnahmen einzusetzen.
Tonja Zürcher, Geschäftsleiterin WWF Aargau
Solarstrom und Effizienz günstiger als Kleinwasserkraftwerke
Die durchschnittlichen Produktionskosten von Solarstrom liegen bei neuen Anlagen in der Schweiz aktuell bei 15 –16 Rp./kWh, und sind damit tiefer als jene bei den fünf Kleinwasserkraftwerken IBAarau (17 Rp./kWh). Mit der gleichen Investitionssumme könnte daher mehr Solar- als Wasserstrom produziert werden – und das mit deutlich geringeren Umweltauswirkungen. Bei Effizienzmassnahmen betragen die Investitionskosten sogar nur rund 5 - 10 Rp./kWh.
Kraftwerk Trift: Ein grosses Kraftwerk statt vieler kleiner
WWF, Pro Natura sowie der Fischereiverband akzeptieren das Speichersee- und Kraftwerkprojekt Trift im Berner Oberland. «Denn das Kraftwerk produziert Strom, der auch wirklich gebraucht wird. Nämlich Speicherstrom, Winterstrom und flexiblen Strom», erklärt Jörg Rüetschi vom WWF Bern. Die Beeinträchtigungen der Natur seien in einem vertretbaren Rahmen und würden ausreichend kompensiert. Die Umweltverbände knüpfen ihre Einigungsbereitschaft zum Bauvorhaben an die klare Erwartung, dass der Kanton Bern jetzt auf weitere Kleinwasserkraftwerke an unberührten und wertvollen Gewässern verzichtet. Denn mit dem Bau des Trift-Werkes wird das Ziel der Berner Wasserstrategie, welche einen Zubau von 300 Gigawattstunden pro Jahr vorsieht, bereits übertroffen.